David gegen Goliath

Liebe zur Freiheit - Hunger nach Sinn. Flugschrift über Weiberwirtschaft und den Anfang der Politik

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David gegen Goliath:

Demokratische Politik relativer Machtlosigkeit vor selbstherrlicher Macht

 

Von David wissen wir: wer klein ist und schwach, kann durchaus handlungsfähig gegenüber einem Riesen sein, der sich für stark, legitimiert und übermächtig hält. Klein, und schwach und lächerlich scheint jemand grundsätzlich immer, wenn er demjenigen gegenüber steht, der im Besitz von Macht und wehrhafter Stärke ist und sich gar für eine durch göttliche Vorsehung gestiftete Weltmacht hält. Werden die konkreten Schritte der Politik Schröders überwiegend abschätzig kommentiert, und selbst wenn er handwerkliche Fehler begangen haben sollte: Für Politik, die sich mit einer Supermacht anlegt, ist Lächerlichkeit unausweichlich.

 

In einer solchen Konstellation bestimmen sich Geschicklichkeit oder Ungeschicklichkeit nicht auf den ersten Blick. Geschicklichkeit definiert sich allzu leicht über die Identifikation mit der Macht. Dazu ist leicht der verführt, der, siehe Opposition, die Angst vor eigener Machtlosigkeit nicht erträgt und lieber Mittäterschaft erstrebt. Mutig ist, wer aus der Position des Schwächeren heraus der Macht das eigene Urteil entgegenhält und persönlich überzeugende Beweise einfordert. Subjektives Engagement ist dem von der Richtigkeit seiner Position Überzeugten jedoch minderwertig und suspekt. Dem Mut zollt er Verachtung.

 

Schwäche ist für Politik aus schwacher Position nicht ein Grund für Verwerfung. Es zeichnet sie regelrecht aus. Dem Kanzler kann man persönlich das Anliegen von Wahlsiegen und handwerkliche Unfertigkeit unterstellen, der rot-grünen Regierung im Falle der Irakpolitik insgesamt nicht, viele Mitglieder und Parlamentarier, etwa Joschka Fischer und Antje Vollmer, so unterschiedlich sie politisch profiliert sind, sind der Friedensbewegung verbunden, hierdurch glaubwürdig, und das stabilisiert sie persönlich gerade dann, wenn ihre Handlungen öffentlich herabgesetzt werden.

 

Diskreditierung ist Strategie gegenüber dem Gegenspieler zur Macht, der eine Auseinandersetzung eingeht, die er mit größter Wahrscheinlichkeit verliert und die vor der Logik, der Demonstration und der Selbstherrlichkeit der Macht kläglich erscheinen muss. Realer Macht entgegenzutreten mutet naiv an, erweist sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts aber als Effekt des Vertrauens auf die demokratische Tradition, die zu Ungläubigkeit gegenüber etablierter Institution führt. Die so durch die demokratische Tradition legitimierte Ambivalenz gegenüber ihren Institutionen weist das auf einen guten Ausgang hoffende Selbst gerade dadurch, dass es von seinen Vorgängern gelernt hat, wie es sein sollte, als reifes Subjekt aus. Es ist die Reife des demokratischen Subjekts, das Widerspruch und Offenheit der Situation gutheißt und Niederlagen nicht als Versagen bewertet.

 

Politik aus der Position der relativen Machtlosigkeit hat, folgt man Hannah Arendt, zuerst nichts anderes zu tun, als Anfänge zu suchen, so unzureichend sie auch sein mögen. Unzureichenheit gehört ihr gerade zu. Anfänge zu suchen macht nämlich zuerst nicht anderes als Leerstellen kenntlich: Zusammen mit der deutlich werdenden Leere der Beweise für die militärischen Aufrüstung von Saddam Hussein werden die ungenügenden Initiativen in der Politik gegenüber dem Irak deutlich. Ferner entpuppt sich die Beziehung vieler Staaten zu den USA als Vakuum. Den westlichen dieser Staaten wird es gegenwärtig auch deshalb un-erträglich, den USA den Stil der Weltpolitik zu überlassen, weil mit diesem ihre eigene kulturelle Identität auf den Spiel steht. Die politische Beziehung zu den USA muss neu gefüllt werden, und das heisst, die UNO, die für die gemeinsame Weltpolitik steht, braucht neue Formen für tatsächlich gemeinsames politisches Handeln.

 

Sichtbarmachen, indem man etwas vorschlägt, das zunächst einfach nur anderes ist, unabhängig davon, ob es genügt, ist der erste Schritt an dieser Schwelle. Es bleibt der Anfang, der Öffnungen zu erzeugen vermag und Macht als Macht und vermeintliche Zwangsläufigkeit als Willkür kenntlich macht. Die Öffnung ist es, die Hoffnung erweckt, danach erst kommt die Erhebung des spezifischen Inhalts. Öffnen ist das Mittel des Davids der Politik, mit der er Goliath bezwingt. Manchmal weis jener in diesem Augenblick nicht, wie ihm eigentlich geschieht. Denn wie dieser Anfang konkret gefüllt werden kann, darüber muss tatsächlich beraten und die Situation muss erneut gesichtet werden. Neue Wege müssen gefunden werden, wobei, darauf  weist Arendt ausdrücklich hin, zuvor keiner das Gesicht verlieren darf.

 

Zugleich befindet sich die deutsche Politik in einer neuen Lage: Für den Auftrag einzustehen, den die UNO tatsächlich hat, heißt, diese zu stärken, und nicht sie zu schwächen, wie der deutschen Regierung vorgeworfen wurde, weil diese die USA nicht vorbehaltlos unterstützt habe. Das Einstehen besteht darin, sich (inner)west-lich - von den USA und Großbritannien - zu unterscheiden - „der deutsche Weg“ - und sich zugleich mit neuer Qualität und Aufgabe an einen bewährten Freund zu binden, der diesen Weg schon länger beschreitet: Frankreich. (Westliche) Staaten nehmen hiermit das Prinzip der Diversität für das Gewinnen einer wirklich ge-meinsamen Politik in Anspruch. Sie schaffen gegenwärtig neue Verbindlichkeiten, zu denen sie zukünftig öffentlich stehen müssen. Nehmen sie dieses Prinzip auch gegenüber ihren eigenen Bürgern ernst? Nur das wird sie letztlich glaubwürdig machen. Es heißt, die Demokratie zusammen mit den Institutionen und den Bezie-hungen der Staaten neu zu erfinden. Darin besteht die Herausforderung einer Welt-politik in Globalisierungszeiten.

 

Dr. Andrea Günter, Privatdozentin für Philosophie mit dem Schwerpunkt Politische Philosophie, lebt in Freiburg/Brsg. andrea.guenter@gmx.de

 

16.2.2003

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